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Laufen im Tschador? - Frauen und Sport im Iran

DIE KOLUMNE ZUM MITTWOCH

18.04.2000

Es war eine ganz neue Erfahrung, im langen, grauen Regenmantel und mit einem Kopftuch einen Vortrag über Frauen und Sport zu halten. Ich sprach vor 200 von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllten Frauen und 5 Männern, die ganz unauffällig, westlich gekleidet waren. Der "First Islamic Countries Women´s Sport Scientific Congress" bot mir die Möglichkeit, nach Teheran zu reisen, Land und Leute kennen zu lernen und mit iranischen Frauen über ihre Situation im Sport und in der Gesellschaft zu diskutieren. Selbstverständlich hatte ich meine Laufschuhe mitgenommen, ich habe sie auch gebraucht, aber nicht zum Laufen, sondern zum Bergwandern, und weil es ziemlich kalt war, war das Kopftuch ganz nützlich, der lange Mantel allerdings störte etwas.

Der Frauensport hat im Iran eine im Vergleich zu anderen islamischen Ländern eine lange Tradition. Bereits 1964 hatte das Iranische Olympische Kommittee vier Athletinnen zu den Spielen nach Tokyo entsandt. Anfang der 70er Jahre förderte die Bundesrepublik den Aufbau einer Sporthochschule in Teheran. Die sportliche "Aufrüstung" wurde nicht zuletzt durch die Ausrichtung der Asienspiele 1974 beschleunigt, für die in Teheran Sportanlagen, auch ein Schwimmbad errichtet wurden. Die islamische Revolution beendete dann erst einmal die deutsch-iranische Kooperation. Heute ist Sport im Iran "in", die Sportbegeisterung schlägt hohe Wellen. Es ist vor allem Fußball (der Männer), der die Massen begeistert und sogar Frauen in die Stadien zieht, obwohl dies "offiziell" nicht erwünscht ist, da sich die Fußballspieler ja nicht an die islamischen Bedeckungsvorschriften halten und Männer in kurzen Hosen kein angemessener Anblick für Frauen und junge Mädchen sind. In der Verfassung des Iran ist "physical training" für alle (Art. 3/ 3) verankert. Die Begeisterung für Sport hat aber da ihre Grenzen, wo sich Sport nicht mit den für Frauen geltenden Vorschriften des islamischen Rechts- und Staatssystems, der Sharia, in Einklang bringen läßt. Ein absolutes Muß ist die "korrekte" Bekleidung, der Hijab, in der Öffentlichkeit. Die sogenannte Uniform besteht aus einer kapuzenähnlichen und über die Schultern reichenden Kopfbedeckung, und einem langen und weiten Gewand. Oft tragen Frauen darüber noch den Tschador, wörtlich das Zelt, d.h. ein langes schwarzes Tuch, das keinerlei weibliche Kurven sichtbar werden läßt. Zu Hause sind die Iranerinnen dann kaum wieder zu erkennen, viele sind sehr modebewußt und, vor allem bei den jungen Frauen, sind Miniröcke und Jeans der letzte Schrei. Seit Mitte der 80er Jahre setzte sich eine Allianz von Sportlehrerinnen, ehemaligen Leistungssportlerinnen und religiös orientierten Frauengruppen für die Wiederbelebung des Sports ein. Es war vor allem die Politikerin Faezeh Hashemi, Tochter von Hashemi Rafsanjani und Vizepräsidentin im Iranischen Olympischen Komitee, die den Willen, den politischen Rückhalt und auch die richtigen Argumente hatte, um den Frauensport auf die Tagesordnung zu bringen. Sie nutzte dabei die Worte des Propheten und die islamischen Glaubenssätze, um der Frauensportinitiative Gewicht zu verleihen. Zentrales Argument war - und ist - die Förderung der Gesundheit von Mädchen und Frauen, die Gesundheit und Glück ihrer Familien garantieren sollen. Frauen haben prinzipiell zwei Möglichkeiten Sport zu treiben, entweder in der Öffentlichkeit mit entsprechender Bekleidung oder in geschlossenen Räumen, zu denen Männer keinen Zutritt haben. Das bedeutet, daß Frauen beispielsweise Skifahren, Wandern und Bergsteigen können. Dazu laden besonders die zahlreichen Wanderwege und die Skipisten im nördlich von Teheran gelegenen Alborzgebirge ein. An Feiertagen ist die Serpentinenstraße auf den Tocalberg, auf den auch eine Seilbahn führt, schwarz von Menschen, die Frauen in langen Mänteln und mit Schals oder Tüchern um den Kopf. Junge Leute können - ebenfalls "anständig" gekleidet - in Parks Federball, Tischtennis oder Volleyball spielen. Allerdings kann es passieren, daß Mädchen von streng blickenden, in Tschadors gehüllten Frauen ermahnt werden, sich richtig zu bedecken, oder daß junge Männer abgeführt werden, weil sie Musik aus Kofferradios oder Walkmen hören. Meine Bekannten meinten dazu, daß sich heute vieles gelockert habe, die schwarz gekleideten "Wächterinnen" habe ich aber selbst beobachten können. Weitere in der Öffentlichkeit möglichen Sportarten sind Kajak fahren und Laufen, dies ist im Hijab zwar nicht einfach, aber möglich. Das Werbeblatt der iranischen Frauensportorganisation wird von Läuferinnen im Tschador geschmückt. Und obwohl ich in den Parks von Teheran keine Läuferinnen, übrigens auch keine Läufer, sichtete, versicherten mir meine iranischen Bekannten, daß ich durchaus eine Trainingsrunde drehen könne, wenn ich "korrekt" bekleidet sei. Freier und ohne störende Umhänge und Kopftücher können sich Frauen bewegen, wenn sie unter sich bleiben. Sporthallen, Schwimmbäder oder auch Fitnesstudios stehen zu bestimmten Zeiten Männern, zu anderen Frauen zur Verfügung. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß die vorhandenen Sportanlagen oder auch die für Freizeitaktivitäten geeigneten Parks nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugute kommen können. Und die kommerziellen Fitness- und Aerobic-Studios sind ohnehin nur den relativ wenigen wohlhabenden Iranerinnen zugänglich. In den 80er Jahren entwickelte sich ein eigenständiges für den Frauensport zuständiges Gremium, das als Dachorganisation für die verschiedenen Frauensportverbände, aber auch für Forschung und Planung zuständig ist. Heute gibt es im Frauensport 23 Fachverbände mit ca. 288 000 Mitgliedern, davon leben mehr als ein Viertel in Teheran. Fast 40 % der im Sport engagierten Frauen betreiben Aerobic, populär sind außerdem Schwimmen, Volleyball und Badminton. In Relation zur Bevölkerungszahl (etwa 66 Millionen) ist die Zahl der organisierten Sportlerinnen verschwindend gering. Zu den zentralen Motiven der sportlich aktiven Frauen gehören Fitneß und vor allem Schlankheit. So ist beispielsweise Jane Fondas Aerobic-Buch in Farsi erhältlich; die Photos sind durch Zeichnungen ersetzt. Das Schlankheitsideal ist auch im Iran verbreitet, viele meiner Gesprächspartnerinnen kamen auf die Bedeutung des Sports für eine gute Figur zu sprechen. Immer wieder ist in Gesprächen mit Frauen von Diäten die Rede, und das, obwohl unter dem langen Mantel keine Körperformen erkennbar sind. Iranerinnen beteiligen sich auch am Wettkampf- und Leistungssport. Eine der verbreitetsten, auch leistungsorientiert betriebenen Sportarten ist das Schießen: Nicht nur, weil Mohammed empfohlen hatte, Kinder im Schwimmen und Bogenschießen zu unterrichten, sondern auch, weil Schießen in einem von Kriegen bedrohten Land nützlich und - vor allem - im Tschador möglich ist. Seit Anfang der 90er Jahre wurden zudem Rundenspiele in den verschiedenen Ballspielen eingerichtet, 1992 im Volleyball, 1996 im Handball, 1997 im Basketball und 1998 im Tischtennis. Im Frühjahr 1998 wurde sogar Fußball für Frauen - in "männerfreien" Umfeld - zugelassen. Hashemi und ihre Mitstreiterinnen setzten sich auch für internationale Sportbegegnungen ein, nicht zuletzt mit dem Hinweis, daß damit auch die Überlegenheit des islamischen Systems bewiesen werden könne. Dieses Argument zog: 1990 konnten sechs Schützinnen an den Asienspielen in Peking teilnehmen. Lida Fariman war die erste und bis jetzt einzige Iranerin, die nach der Revolution an den Olympischen Spielen teilnehmen durfte. Die Athletin, die zu einem Schießwettbewerb im Hijab antrat, trug bei der Eröffnungsfeier in Atlanta die islamische Flagge. Iranische Athletinnen dürfen also seit Anfang der 90er Jahre an internationalen Veranstaltungen teilnehmen, allerdings prinzipiell nur in den Sportarten, in denen die Kleidungsvorschriften eingehalten werden können. Dies sind Schach, Schießen, Reiten und Kajak und, für Mädchen, auch Karate. Da Leistungssport in vielen anderen Sportarten im Hijab unmöglich ist, wurde eine Alternative entwickelt: die Islamischen Frauenspiele. Diese Sportveranstaltungen fanden unter Ausschluß der männlichen Öffentlichkeit 1993 und 1997 in Teheran statt. 1993 und 1997 zogen die Athletinnen im Hijab vor den Augen von männlichen Zuschauern zur feierlichen Eröffnung der Spiele ins Stadium ein. Später, zu den Wettkämpfen, traten die Frauen dann, den Blicken von Männern entzogen, im üblichen Sportdress an. Zuschauerinnen, Kampfrichterinnen, Journalistinnen, Ärztinnen und Trainerinnen bewiesen, daß es auch ohne Männer im Stadium geht. An den ersten Frauenspielen nahmen Athletinnen aus neun oder zehn Ländern teil; allerdings konnten gerade Länder wie Saudi Arabien oder die Golf Staaten, deren Athletinnen von einem "männerfreien" Sport profitiert hätten, kein Team entsenden, da es dort keinen organisierten Frauensport gibt. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen kam aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion., sie hatten in ihrer Mehrzahl bereits internationale Wettkämpfe bestritten und sie stellten die Mehrzahl der Siegerinnen. Für alle Mitglieder des aus 122 Frauen bestehenden iranischen Teams - mit Ausnahme der Schützinnen - war dies die erste internationale Begegnung, und sie genossen es, sich mit den Athletinnen aus anderen Ländern zu messen und im Rampenlicht zu stehen. Im Dezember 1997 fanden dann die zweiten Islamischen Frauenspiele nach dem gleichen Muster statt. Dieses Mal nahmen Athletinnen aus 16 Ländern teil.

Der Frauensport im Iran erlebt derzeit einen Aufschwung. Auch der Frauensportkongreß in Teheran stieß auf großes öffentliches Interesse, in allen Kanälen des Fernsehens wurde darüber berichtet, und ich als "Exotin" durfte im Fernsehen, selbstverständlich mit Kopftuch, über die positiven Wirkungen des Sports berichten. Trotz der ganz unterschiedlichen Themen der Vorträge war es Konsens unter den Anwesenden, daß Frauen ein Recht auf sportlichen Aktivitäten haben und daß die Möglichkeiten von Mädchen und Frauen, Sport zu treiben, verbessert werden sollten. Aus dem Publikum, in dem viele Studentinnen saßen, kamen durchaus kritische Fragen und Forderungen. So wurde die Ansicht vertreten, daß Frauensport größere öffentliche Beachtung finden solle. Nur so könnten Athletinnen Vorbilder sein, nur so könnten sie Anerkennung und Unterstützung finden. "Es ist nicht nur aus Spaß," meinte die Kanutin Silva Hanbarchian, 23 in eine Interview. "Die Welt soll wissen, daß die Iranerinnen alles machen können was andere Frauen tun, nur eben in dieser Uniform, und daß wir etwas leisten können, wenn man uns nur die Möglichkeit dazu gibt."

Die Hoffnung zahlreicher iranischer Frauen, daß sich einige Verhaltensregeln lockern und die Bewegungsfreiheit von Frauen in Sport und Gesellschaft erweitern würden, ist sicher nicht einfach zu realisieren, weil die Aufgabe des Hijabs an den Grundfesten der islamischen Gesellschaft rütteln würde. Trotzdem sind viele Iranerinnen, vor allem nach dem Wahlsieg der Reformisten, davon überzeugt, daß sie sich auf dem richtigen Weg befinden. Und wenn ich das nächste mal nach Teheran komme, werde ich hoffentlich mit einer Gruppe von Läuferinnen in Teheran joggen können.

Prof. Dr. Gertrud Pfister, Institut für Sportwissenschaft, Freie Universität Berlin


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